Unruhe machte sich unter den Anwesenden breit, als nach dem zweiten Schellen der Glocke noch immer nichts passierte. Das breite Bambusgerüst, welches wohl dem hohen Gericht als Bühne dienen sollte, stand noch leer und verlassen in einer kargen Wüstenlandschaft, die von dem Licht einer noch nicht aufgegangenen Sonne nur spärlich beleuchtet war. Die Zuschauer, die eine Jahrhunderte andauernde Wanderung voller Entbehrungen und Enttäuschungen hinter sich hatten, lagen, oder saßen in Gruppen, dicht gedrängt auf dem Sandhügel unweit der Bühne. Noch war es kühl und so mancher hatte sich unter einer Decke verkrochen, doch schon in ein paar Stunden würde es nicht mehr möglich sein, barfuss durch den Sand zu gehen, ohne sich die Füsse zu verbrennen. Dann endlich betrat ein Gerichtsdiener die Szene. Er stellte das Zeitpendel auf 0 und begann damit, den Gerichtssaal zu harken. Sorgfältig zog er seinen Rechen von hinten nach vorn durch den Sand, ohne dabei seine eigenenFussspuren zu beseitigen. Im Gegenteil, er fügte durch seine Arbeit, die er durchaus gewissenhaft erledigte, immer wieder neue hinzu, so dass er nach jedem Arbeitsgang die Uhr wieder auf Anfang stellen musste und von neuem begann. Inzwischen war es weit über Neun. Die Sonne fing an, das Terrain zu erwärmen und aus den Decken schälte sich langsam das Publikum heraus. Die Glocke ertönte das dritte Mal. Es ging ein Raunen durch die Reihen. Alle Blicke waren in Spannung verharrend auf die Bühne gerichtet. Nun endlich unterbrach auch der Gerichtsdiener seine vollkommen überflüssige Arbeit, stellte den Rechen ab und forderte alle Anwesenden auf, sich von ihren Plätzen zu erheben. Dann begab er sich an sein Schreibpult zur Rechten, welches eher einem Leierkasten glich, denn als er die daran befestigte Kurbel bediente ertönte die Gerichtsfanfare, so wie aus dem Himmel geblasen, weit aus der Ferne herüber und auf den äusseren, kleineren Türmen des nicht vorhandenen Gerichtsgebäudes erkannte man nun erst durch zwei bläuliche Lichter in Szene gesetzt, die zwei wesensungleichen Gestalten, die man vielleicht als Kühlerfiguren, oder symbolische Statuen der höheren Gerichtsbarkeit interpretieren könnte. Es waren eine weiss geflügelte Gestalt zur Rechten und eine schwarz geflügelte zur Linken. Da sie sich aber nicht bewegten, hatte man sie bisher wenig oder gar nicht beachtet. Als der letzte Ton verklungen war, betraten von beiden Seiten der Bühne her, jeweils drei Sackköpfe die Szenerie und blieben vor den untersten Bänken der Gerichtstribüne stehen. Jetzt gab es eine Pause. Wieso das so war, konnte sich niemand erklären, aber es war so. Vielleicht war hinter den Kulissen etwas passiert, was zu einer weiteren Verzögerung führte. Irgendwann, beruhigte man sich inzwischen, würde man es sicher erfahren. Auf einem vor dem Himmel weit aufgespannten Segel, wurde zur Überbrückung der Zeit ein Film eingespielt, der einen Fluss zeigte, in dem tausende Fische im Kreis schwammen. Der Gerichtsdiener bedeutete den Zuschauern mit wenigen Gesten, sie mögen sich erst einmal wieder setzen. Die Sackköpfe, die vermutlich in der Funktion der Schöffen tätig werden würden, setzten sich ebenfalls und einer von ihnen schaute sogar auf seine Uhr. Dann verfielen sie in eine entrüstete Tuschelei, bei der sich ihre Sackköpfe mal zur einen, mal zur anderen Seite wandten. Wieder machte sich eben jene Unruhe auf dem Zuschauerhügel breit, von der wir anfangs schon berichteten. Einige Jungspunde, die mit ihren Ziegen gekommen waren, um dem Jo Fabian Department beizuwohnen, taten sich nun besonders hervor und riefen ab und zu in das weite Proszenium: "Anfangen, sie sollen endlich anfangen!“. So, als ob es tatsächlich eine Wirkung hätte, bestiegen nun der Staatsanwalt und der Verteidiger die beiden hohen Türme rechts und links der Richterloge und fingen an, ihre inzwischen zu riesigen Haufen angewachsenen Prozessunterlagen zu sortieren. Dabei gingen beide so vor, als ob es darum ginge, schneller als der Konkurrent auf der anderen Seite, aus zehntausenden gut durchmischten Einzeldokumenten, ein fortlaufend nummeriertes Werk zusammen zu stellen. Sie unterbrachen ihre archivarische Tätigkeit nicht einmal für die Ankunft des Delinquenten, als der vom Gerichtsdiener in die Mitte des Platzes geführt wurde und dort in bekannter Manier, also schön langsam und bedächtig, durch schwere Ketten an drei im Sande liegende riesige Findlinge gefesselt wurde, so dass er sich wohl innerhalb dieses Dreieckes bewegen konnte, aber nicht mehr ausserhalb davon. Der verbleibende Bewegungsspielraum ergab eine luftige Zelle von den Ausmaßen einer unsichtbaren Besenkammer. Seine abgewetzte Kutte, die zerschlissenen bloßen Fü.e und sein langes, wildes Haupthaar liessen darauf schliessen, dass seine nächtliche Zelle weit weniger bequem anzunehmen sei, als diese doch immerhin sonnendurchflutete Anklagebank. Die zusammengekniffenen Augen konnten dem hellen Schein kaum entgegentreten. Er wich zurück und tastete sich mit den Füßen bis in das steinige Ghetto seiner täglichen Verhandlungsstunden. Die Menge beäugte und begaffte den Angeklagten wie ein seltenes Tier und einigen der schaulustigen Gaffer entfuhr sogar ein spontanes "Oh" und "Ah". Vereinzelte "Iih`s" und "Buh`s" konnte man auch vernehmen. Zusammen ergab das einen chorischen Klang, der dem Geräusch eines fauligen Windstosses nahe kam, der durch einen baufälligen Schornstein fegt. Doch noch bevor sich jener Mischlaut gänzlich ausbreiten konnte, wurde er jäh unterbrochen, als aus mehreren Lautsprechern, die rund um den Platz an den obersten Stangen des Gerüstes angebracht waren, ein ohrenbetäubendes Quietschen und Pfeifen erklang. Es war gerade so, als ob die Anlage erst angeschaltet und danach vollkommen übersteuert wurde. Und so hielten sich die Leute bereits die Ohren zu, noch bevor ihr Mund sich wieder schliessen konnte. Fast im selben Moment riss der Film, oder der Projektor wurde abgeschaltet. Die Pause war scheinbar zu Ende. Jetzt vernahm man, erst undeutlich dann immer eindringlicher, eine warme Frauenstimme, die langsam von 3012 an rückwärts zählte. Darüber, in welcher Sprache sie das tat, konnte man allerdings lange streiten. Das gute daran war und das entsprach wohl dem allgemeinen Eindruck, dass es nun begonnen hatte. Im Vordergrund, ganz nahe beim Publikum war ein Geländer aufgebaut, welches später als Zeugenstand und jetzt schon als Absperrung diente. Über ihm hing an einem Faden, der aus dem Himmel zu kommen schien, ein Mikrophon. Der Gerichtsdiener trat heran, testete es kurz auf seine Einsatzbereitschaft und wandte sich dann an das versammelte Volk. Er forderte es zum ersten dazu auf, sich gesittet und ruhig zu verhalten, denn ansonsten hätte er die Befugnis, den Hügel zu räumen und zum zweiten dazu, sich erneut zu erheben, da in Kürze seine Eminenz erwartet würde, womit er wohl jene Person meinte, die das Amt des höchsten Richters bekleidete. Die Zuschauer taten wie ihnen geheißen, die Anwälte beendeten ihre unsägliche Zettelei und die Sackköpfe hörten auf zu tuscheln und standen von ihren Bänken auf. Der Gerichtsdiener legte ein zweites Mal seinen Riemen auf und drehte ordentlich an der Kurbel. Seine Eminenz erklomm die vier Stufen seiner Bambusleiter mit Hilfe einer Eskorte, von zwei geschlechtslosen Halbmonden und doch mit einiger Mühe, denn sein schwerer, roter Samtumhang hatte es an Gewicht und Länge in sich. Abgesehen davon war seine Eminenz von stattlicher Figur und trug zu allem Überfluss ein über den Kopf gestülptes Korbgeflecht. Als er nach einem langen Weilchen und von den Blicken aller begleitet endlich seinen Stein in der zentralen Gerichtsloge erreichte, war der Riemen längst runter und die Musik verklungen. Nachdem er nun also auf dem Steine saß, setzten sich auch alle anderen. Er wies seine binären Trabanten mit einer Handbewegung dazu an, ihm sein Geflecht vom Haupte zu entfernen, was diese auch mit angemessener Behutsamkeit verrichteten. Darunter hervor kam nun ein hochweiss geschminktes, feistes Babygesicht und blickte aus funkelnden Augen genüsslich in die Runde. Als sein Blick auf dem Angeklagten hängenblieb, zischelte er ein paar unverständliche Worte vor sich hin, so das nicht einmal die Zwillinge, die doch dicht hinter ihm ihre Plätze eingenommen hatten, ihn verstehen konnten. Der Gerichtsdiener wartete einen Wink seiner Eminenz ab und trat nun erneut unter das Mikrophon, um folgende bedeutsamen Worte zu sprechen: "Ich ermahne, Augen und Ohren aufzusperren und bestimme die benötigte Anzahl an Geschworenen aus dem hier versammelten Volk. Seine Eminenz wird daraufhin und nach Nullsubtraktion aller eventuellen Einwände, die Verhandlung mit einem einfachen "Halleluja" eröffnen." Dann trat der Gerichtsdiener beiseite und seine Eminenz erhob die rechte Hand zu einem Himmelsgruss, wartete die absolute Stille ab, ließ einen verirrten Vogel vorüberfliegen und sprach: "Halleluja" und damit war die Verhandlung eröffnet. Die binären Assistenten seiner Eminenz ermutigten die Sackköpfe sogar dazu, Beifall zu klatschen und selbst der Angeklagte, trotz seiner unerfreulichen Zwangslage fühlte sich durch sie irgendwie angesprochen. Seine Eminenz forderte Ruhe ein und eröffnete das Spiel mit den Worten: "Der Angeklagte möge vortreten!" Der Gerichtsdiener ermahnt den Angeklagten dazu, aufzustehen, wenn der hohe Richter das Wort an ihn richtet. Code of Theater Der Angeklagte steht auf und versucht nach vorn zu treten, kommt aber auf Grund seiner Ketten nicht sehr weit. "Angeklagter, in welchem Zustand befinden Sie sich ihrer Meinung nach?" Der Gerichtsdiener hilft dem Angeklagten auf die Sprünge. "Schlafen Sie etwa? Antworten Sie!" Aus einer Überlegung aufhorchend: "Wie war noch mal die Frage?" "In welchem Zustand Sie sich befinden. Ob sie wach sind, oder schlafen?" "Ich bin wach, natürlich. Natürlich bin ich wach." "So natürlich ist das auch wieder nicht. Sehen Sie sich doch um! Sie halten das nicht etwa für einen bösen Traum, aus dem Sie hoffen, recht bald zu erwachen? " "Schön wär's, ich halte das leider für die Wirklichkeit." "Wenn man im Traum erkennt, dass man träumt, steht man ja bekanntlich kurz vor dem Erwachen. Beabsichtigen Sie eine solche Flucht, oder erhoffen sich sonst irgendeine Verbesserung ihrer Lage, um sich ihrem Verfahren auf irgend eine Art und Weise entziehen zu können?" "Nicht, das ich wüsste." "Dann glauben Sie womöglich daran, dass Sie sich in einem Theaterstück befinden und Sie uns allen hier etwas vorspielen können?" "Ist das etwa so? Ein Theaterstück, ach ja? Das würde mich sehr beruhigen." "Nun, es ist das, wofür Sie es halten. Halten Sie es für eine Farce? Machen Sie sich etwa über uns lustig?" "Nein, natürlich nicht. Vielmehr glaube ich, dass ich unter Anklage stehe und hoffe, dass das Urteil nicht zu streng ausfallen möge, da ich mich ja im Grunde sehr einsichtig zeigen möchte und dem hohen Gericht durchaus mit dem allerhöchsten Respekt zu begegnen beabsichtige." "Nun, dann können wir ja beginnen." Nachdem alle Anwesenden ganz erleichtert ihre Freude über den Ausgang des Verhörs ausgedrückt hatten, reichte ein flüchtiger Blick seiner Eminenz zum Gerichtsdiener, so dass der, die Morgenluft witternd, noch mal richtig einheizte, indem er auch seine frisch ernannten Geschworenen, von denen noch niemand wusste, wer denn nun eigentlich gemeint war, zu einer frohlockenden Gefühlsäusserung animierte. Dann lief er eilig an sein Pult zurück und drehte, was das Zeug hielt an seiner Kurbel, woraufhin auf dem Segeltuch eine fette Matrone erschien und eine Opernarie schmetterte. So köstlich das auch anzuschauen war, verlangte nun die Verteidigung das Wort, indem sie mit einem Blatt Papier herumfuchtelte und damit auf einen noch offenen Antrag des gestrigen Verhandlungstages hinwies, dessen Bearbeitung auf Grund der zu späten Stunde vom Gericht auf den heutigen Vormittag vertagt wurde. Noch bevor ihr aber das hohe Gericht das Wort erteilen konnte, erhob die Anklage bereits Einspruch, da sich ein Antrag, der sich auf die Ereignisse der gestrigen Verhandlung beziehen würde, kaum relevant für den heutigen Verhandlungstag sein könne. Er wäre aber insofern sehr wohl relevant für den heutigen Verhandlungstag, warf der Verteidiger sofort ein, als es sich ja um die Beantragung der Wiederholung des gestrigen Verhandlungstages handeln würde und damit der heutige Tag eben gar nicht der heutige Verhandlungstag sein würde, sondern der gestrige. "Einspruch", hörte man es sofort von der anderen Seite. "Seine Eminenz bedenke, dass bei erneuter Bewilligung eines so zweifelhaften Anliegens der Verteidigung, sich der Inhalt des heutigen Tages vollkommen in Luft auflösen würde, da ja am morgigen Tage die morgige Verhandlung ausstünde und nicht etwa die heutige. Alles in Allem sei überdies die Taktik der Verteidigung dem Gericht ja hinlänglich bekannt und hätte bereits zum jetzigen Zeitpunkt dazu geführt, dass wir nicht wie kalendarisch nachweisbar den 947. Tag des laufenden Prozesses protokollieren können, sondern uns immer fort zurückbewegen. Nach meinen Aufzeichnungen, warten Sie…". Er durchsuchte nun seine Unterlagen nach der entsprechenden Notiz. "Ach, da haben wir es ja…handelt es sich um den 470. Antrag der Verteidigung auf Rückstellung des Verhandlungszeitpunktes und Wiederholung diverser Verhandlungstage, so dass wir uns zwangsläufig irgendwann wieder am ersten Tage befinden würden und der ganze Prozess von Neuem beginnt." "Hat die Verteidigung gegen den Vorwurf der Verschleppung des Verfahrens etwas intelligentes einzuwenden?" "Die Verteidigung geht auf solche Art von Vorwürfen gar nicht erst ein, um das Verfahren nicht durch ausufernde Volksreden künstlich in die Länge zu ziehen, besteht allerdings darauf, dass der hier vorliegende Antrag auf Wiederholung des gestrigen Verhandlungstages ordentlich geprüft wird, die zur Begründung angegebenen Passagen, die zur einfacheren Auffindung von mir rot unterstrichen wurden, sorgfältig gelesen werden und ihre verblüffende Stichhaltigkeit durch die Assessoris bestätigt wird. Dabei wirft die Verteidigung sechs gebundene Antragsdurchschriften mit Schmackes zu den Sackköpfen hinunter, die sofort damit beginnen werden, sie zu studieren und seine Eminenz von dem vorhersehbaren Ergebnis ihrer Bemühungen in Kenntnis setzen werden." Die Sackköpfe sammelten die Manuskripte ein, verteilten sie gerecht untereinander und fingen damit an, sie zu lesen und fortwährend dabei miteinander zu tuscheln. "Einspruch, eure Eminenz. Die Verteidigung suggeriert eine "verblüffende Stichhaltigkeit", die ja gerade von mir in Zweifel gezogen wird." "Stattgegeben. Eine verblüffende Stichhaltigkeit ist nicht notwendig. Wir verlangen lediglich eine Begründung dieser juristischen Anomalie." "Abgesehen davon,", so der Verteidiger, "ist die Rechnung der Anklage nicht ganz richtig, denn bei genauerem Hinsehen ist die Anzahl meiner Anträge auf Rückstellung geringer, als die Anzahl der kalendarischen Prozesstage und nur die Hälfte der Anträge ist überdies von seiner Eminenz befürwortet worden, so dass wir es ad Punkto lediglich mit 235 Rückstellungen zu tun hatten, was zu einem stetig fortlaufenden Prozess ad Akto führte, an dessen 712. Verhandlungstag wir uns just in diesem Moment befinden." "Nun ja, oho, aber selbst wenn es so wäre, so bliebe noch zu erwähnen, ohne den Herrn Verteidiger anschwärzen zu wollen, dass sein letzter Mandant auf eben jener Anklagebank, altersschwach und sonnengebräunt eines vollkommen natürlichen Todes starb, lange bevor das hohe Gericht überhaupt in die Nähe einer Verurteilung gelangte." "Womit ihm die allerhöchste Gerechtigkeit widerfuhr, die ihm durch ein Gericht widerfahren konnte." "Die Verhandlung ist bis zum endgültigen Beschluss über den Antrag der Verteidigung unterbrochen." Der Gerichtsdiener stellte das Zeitpendel auf Null und trat erneut vor das Mikrophon. Als er anhub zu sprechen, war die Luft noch klar, danach nicht mehr. "Ich möchte dem geschätzten Publikum inzwischen ein Rätsel aufgeben, welches es in sich hat, denn wenn man die Lösung nicht findet, so ist man des Todes. Viel Vergnügen." Und damit begab er sich wieder an sein Pult und ließ sein Publikum nachdenklich zurück. Das hohe Gericht erwartet, von den Assessoris geweckt zu werden, sobald ein Befund zu Stande gekommen sei. Dies wurde ihnen von den Binären chorisch mitgeteilt und die Sackköpfe nickten mit ihren Köpfen und steckten sie dann zusammen. "Wasser, ein Gläschen Wasser vielleicht?", machte sich nun halblaut der Angeklagte bemerkbar. Der Gerichtsdiener horchte auf und mit einer freudigen Erregung bemerkte er: "Richtig, die Antwort ist korrekt. Es handelt sich um Wasser. Das ist nicht nur die richtige Lösung, sondern auch die weltweit fundamentalste Lösung aller Probleme der Menschheit. Der Angeklagte bekommt dafür 5 Punkte." Er notierte sich etwas auf einem Zettel und legte danach einen neuen Riemen auf, wodurch wir zwischenzeitlich durch eine wunderschöne Filmaufnahme der Niagarafälle unterhalten wurden. Dazu hörte man sehr passend den Soundtrack eines tropfenden Wasserhahns. Die Sackköpfe sind bei ihrer Lektüre inzwischen auf eine Frage gestossen und richteten sich nun verbal an den Verteidiger, der damit beschäftigt war, den weissen Engel neben sich auf dem Türmchen zu skizzieren. Ohne seine Arbeit zu unterbrechen, beantwortete er die Frage der Sackköpfe so: "Es handelt sich, wie sich leicht aus dem gestrigen Protokoll des Gerichtsdieners ersehen ließe, um die Verfügung des hohen Gerichts, dass der Angeklagte die Aussage verweigern könne, wenn er sich dadurch selbst belasten würde." "Aber der Angeklagte hätte seine Aussage zu diesem Zeitpunkt doch bereits schon gemacht." erwiderten die Sackköpfe. "Ja, eben. Das ist ja gerade der Kasus Knaxus. Da diese Bestimmung erst in den späten Abendstunden von seiner Eminenz verfügt wurde, kam mein Mandant natürlich nicht mehr in den Genuss seiner Anwendung. Da diese neue Bestimmung des hohen Gerichts aber nun in Kraft getreten ist, muss ich als sein Verteidiger darauf bestehen, dass er sie verweigern kann, obwohl er sie bereits gemacht hatte. Deshalb nun und das wird jeder vernünftig ausgebildete Verstand einsehen, muss der gestrige Verhandlungstag wiederholt werden, da er unter diesen neuen Vorzeichen ja einen ganz anderen Verlauf nehmen würde." Das ginge so aber nicht an, denn die selbstbelastende Aussage wäre doch nun schon aktenmündig (aktenkundig, verbesserte der Verteidiger gefühlvoll) und man könne sie schwerlich ungeschehen machen, erwiderten die Sackköpfe. Was aber nicht das Problem wäre, kam von oben zurück, denn in Zukunft wäre ganz handelsüblich, dass die Geschworenen auf Anweisung des Gerichts, einfach überhören und vergessen würden, was sie soeben gehört hatten. Dem Gericht seien da gar keine Grenzen gesetzt. Durch wen auch. "Und was wird aus dem Protokoll? Es ist doch wohl unantastbar.", warf nun ein oberschlauer Sackkopf ein. "Unantastbar ist die Würde des Einhorns. Der Gerichtsdiener müsste die Aussage aus dem Protokoll streichen und fertig wäre die Laube." Doch gerade als ein Sackkopf noch mal nachfragen wollte, um welche Laube es sich denn handeln würde, meldete sich der Staatsanwalt zu Wort, der inzwischen ebenfalls angefangen hatte, seine Flügelfigur zu zeichnen, was ihm aber sichtlich nicht gelingen wollte. Er zerriss nun das unselige Papier und wandte sich an die wachhabenden Halbmonde mit der Bemerkung, ob das andauernde Geschwätz des Verteidigers mit den Schöffen, nicht den Schlaf seiner Eminenz stören würde. Doch gerade durch diesen Einwurf erwachte seine Eminenz und erwiderte mit einem eindringlichen Grunzen und sofort war Ruhe auf den Balkonen. Der Angeklagte, der etwas mürrisch schien ob des Verlaufs an diesem Vormittag, versuchte währenddessen erneut und immer wieder einen Schluck Wasser zu erbetteln. Vielleicht hatte er auch noch andere Wünsche, die ihm niemand erfüllte, was wohl daran lag, dass ihn niemand verstand. Da nun die Ruhe wieder eingekehrt war, drang sein Gebrabbel nun endlich in den Vordergrund und man vernahm folgende freie Ansicht: "Wo, mein lieber Herr, finde ich Barmherzigkeit und Güte, da doch die Welt schlecht ist und nur mit sich selbst beschäftigt?" "Na, hier mit Sicherheit nicht, guter Mann. Sie befinden sich vor Gericht und da können Sie Gerechtigkeit erwarten und nichts sonst. Können wir nun fortfahren?" Seine Eminenz bestäubte einen seiner Handrücken mit einem geheimnisvollen Pulver und wandte sich kurz um. Die Sackköpfe sahen sich gegenseitig an und jeder von ihnen machte dem anderen Mut zu einer Entäusserung. "Die Frage, die wir uns zu stellen genötigt sehen, ist diese: Kann der, einem Gesetze ähnliche Erlass, der weit über diesen Fall hinausreichend Gültigkeit bewahren möge, rückwirkend geltend gemacht werden, oder nicht?" Jetzt musste das hohe Gericht aber gerade befreiend niesen, so dass der Staatsanwalt, der den Braten roch, vorauseilend in die Lücke sprang: "Natürlich nicht." Die noch ausstehende Antwort des hohen Richters fiel unter Umständen nur deshalb so strafend für die Anklage aus, weil sich seine Eminenz dabei über den Mund gefahren fühlte: "Wir wüssten nicht, wie er denn anders als rückwirkend geltend gemacht werden könnte, oder haben sie je von einem Fall erfahren, auf den ein Gesetz Anwendung fand, dessen zu Grunde liegender Tatbestand selbst noch gar nicht eingetreten ist? Ursache und Wirkung, meine Herrschaften, Kausalität. Eine einfache Sache für den gesunden Menschenverstand, Herr Anwalt." Die Sackköpfe sahen sich erneut gegenseitig an und man hatte den Eindruck, sie fühlten sich missverstanden und dennoch wagten sie nicht weiter auf diesem Punkte herumzureiten. Der Verteidiger dagegen konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. "Verraten Sie uns noch das Ergebnis ihrer Bemühungen?" "Nun, dem Antrag der Verteidigung, also nach unserem Dafürhalten und bei genauerer Betrachtung, in Anbetracht des Umstandes…" "Also?" "…also der Antrag ist durchaus berechtigt und wir empfehlen ihm zu entsprechen." Aus dem Publikum kamen daraufhin Proteste, die sich teilweise durch Pfiffe äusserten. Einige standen sogar auf und protestierten lautstark mit erhobenen Fäusten. Unaufgefordert begab sich der Gerichtsdiener an die Rampe und verkündete: Die Zeit möge auf den gestrigen Tag zurückgestellt werden und wenn nicht augenblicklich Ruhe eintreten würde, so ließe seine Eminenz die hügelige Wüste räumen und dann wären alle Nase, die sich auf ein unterhaltsames Wochenende gefreut hätten. Die Störenfriede setzten sich wieder und der Gerichtsdiener zog am oberen Ende der Uhr, bis sie ganz unten war und als die Gerichtsglocke schellte, war er schon wieder an seinem Pult.