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Theaterinszenierungen von Jo Fabian
Jo Fabian Department Theater Archiv
Der Drache nach Jewgeni Schwarz
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Die Rocky Horror Dragon Show

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann trommeln sie noch heute. So nämlich endet dieses skurrile Märchen im Theater Konstanz, mit einem im Übrigen ganz fantastischen Ensemble, das es mächtig krachen lässt – und das mit Stöcken auf Blechtonnen haut, im Rhythmus fastnachtlicher Guggenmusik. Ein energiegeladenes Finale nach zweieinhalb Stunden theatralischen Ausnahmezustands, den das Publikum mit Jubel, aber auch unüberhörbaren Buhrufen quittiert. Denn krachen lässt es auch Jo Fabian, Regisseur, Ausstatter, Beleuchter in Personalunion. Ganz ohne Feuer speiendes Ungeheuer macht er den „Drachen“ von Jewgeni Schwarz zu einem ungeheuerlichen Ereignis.

Fabian kann Bilder und Klänge in den Raum zaubern, die dem Besucher kindliches Staunen entlocken, und er ist offenbar einer der wenigen Avantgardisten, die sich einen Sinn für das Komödiantische bewahren. Der russisch parlierende Kater, der schizophrene Bürgermeister, die abschüssige Sitzgelegenheit, das Badnerlied – man schmunzelt. Doch bevor man es sich zu gemütlich machen kann in seiner Welt, gibt Fabian selbst das Enfant terrible, und das zuweilen mit einer Heftigkeit, die den Überdruss des Betrachters einkalkuliert.

Denn zufällig scheint nichts von dem, was sich auf dem weißen Sand, der den Bühnenboden bedeckt, abspielt; nicht die Stimmen, die immer wieder aus im Raum verteilten Lautsprechern erklingen, nicht die Szenerie, die bisweilen an den Videoclip einer Punkrock-Band erinnert, nicht die Musikauswahl, die von Rammstein bis Rachmaninow reicht, auch nicht die verwirrend roten Kontaktlinsen, die Held Lanzelot unter seiner Sonnenbrille trägt.

Er ist ein echter Gruftie, dieser Lanzelot (Nico Selbach), mit seinem riesigen Schwert, dem langen schwarzen Mantel und den kleinen schwarzen Engelsflügeln. Zu Rammsteins „Ohne Dich“ breitet er in einem stummen Bühnentanz seine Schwingen aus, verleiht der erwartungsvoll flatternden Elsa (Monika Vivell) die Hoffnung, doch nicht dem Tod geweiht zu sein. Ein „Maulband“ trägt sie, die Jungfrau, die in einem alljährlichen Ritual von den Bewohnern ihres Dorfes dem Drachen geopfert werden soll, sich zunächst in ihr Schicksal zu fügen scheint und dann doch rebelliert, sich dem Helden hingibt, am Ende hochschwanger, ja bereits in den Wehen, von jenen Machthabern vergewaltigt wird, die dem Drachen nachfolgen. Das Ensemble hüpft dazu, der Zuschauer wartet, dass es vorüber gehen möge.

Es kommt nichts Besseres nach, mag die Botschaft Fabians sein, der von sich behauptet, keine Botschaft zu haben. Dabei sieht doch alles zunächst ganz gut aus: Dem Helden gelingt seine Heldentat, er besiegt den Drachen (Otto Edelmann), diese gefiederte Gestalt mit Wehrmachtsmantel, grusligen Pranken und verzerrter Stimme. Den Kampf der beiden inszeniert Fabian als gigantische Mauerschau: Der Lüster schwankt, Scheinwerfer kreisen im Zuschauerraum, Heinrich – Ex-Verlobter Elsas und Gehilfe des Drachen – kommentiert das Geschehen im Wochenschau-Stil, eine Gruppe Ballett-Eleven huscht vorbei und über den Heidenlärm legt sich in dicken Schwaden Theaternebel…. So muss man ein Bühnengeschehen erst einmal verdichten können.

Keine Frage: Fabian spielt souverän mit der theatralen Dynamik, seine Rocky Horror Dragon Show beinhaltet auch die Ballade, den Moment der Poesie, er schockiert und tröstet im nächsten Moment. Und er überwältigt immer wieder mit Bildern, die im Detail nicht entschlüsselbar sind und doch nachvollziehbar bleiben. Nur manchmal wirkt dieses Schwelgen im Sinnlichen ein wenig selbstverliebt. Ein „naiver Romantiker“ sei er im Grunde, so Fabian im Vorgespräch. Vielleicht deswegen lässt er weder neuen noch alten Machthabern das letzte Wort. Statt dessen gibt es so etwas wie eine Auferstehungsszene aus einem sehr surrealistisch anmutenden Ei. Mehr sei hier nicht verraten.
Bettina Schröm, Südkurier, 13.März 2009

Muss nicht in jedem von uns ein Drache getötet werden?

Regisseur Jo Fabian zeigt in seiner Inszenierung am Konstanzer Stadttheater, wie viel Aktualität der Geschichte um Gewaltherrschaft und Befreiung, um Korruption und Duckmäusertum immer noch innewohnt. Das Stück „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz zumindest hat es in jeder Hinsicht „in sich“.
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Leningrad 1943. Zwei Jahre schon wird die Stadt von deutschen Truppen belagert. Für den russischen Autor Jewgeni Schwarz (1896-1958) Anlass genug, die Arbeit an seinem 1940 begonnenen Theaterstück „Der Drache“ wieder aufzunehmen. Das parabolisch verfremdete Märchen ist seine Antwort auf die Herrschaft der Faschisten über das deutsche Volk einerseits und wird zum Zerrspiegel der stalinistischen Diktatur andererseits. Nach zwei öffentlichen Proben ließ Stalin das Stück verbieten.

Die Geschichte zum Stück: Eine Stadt wird seit 400 Jahren von einem Drachen (Otto Edelmann) beherrscht. Als gefiederte Menschengestalt, in Wehrmachtsmantel, Stahlhelm und mit furchteinflössend verzerrter Stimme, treibt er sein Unwesen; alljährlich fordert er eine Jungfrau seiner Wahl als Tribut. Dieses Jahr soll es die naiv-anmutige Elsa (Monika Vivell) sein. Elsa und ihr Vater (Hans-Helmut Straub) fügen sich in ihr Schicksal.

Wenn Menschen sich mit ihrer Angst abfinden...

Die Bewohner des Städtchens haben sich schon längst mit dem Drachen und der Angst vor seinem Zorn abgefunden, allen voran der schizophrene Bürgermeister (Heimo Scheurer), der dem Drachen bisher willfährig gedient hat. Da betritt Lanzelot (Nico Selbach), geflügelter Ritter und Drachentöter, die Szenerie, verliebt sich in Elsa und fordert den Drachen zum Duell. Gegen den Willen des Volkes kommt es zum Kampf, der dreiköpfige Drache wird besiegt und die schöne Elsa befreit.
So weit – so gut. Wer nun auf ein glückliches Ende des Märchens hofft, wird grausam eines anderen belehrt. Der Weg aus der Unfreiheit ist gepflastert mit neuem Schrecken.

Jo Fabian lässt in seiner bizarren Inszenierung eine eigene, von ungewöhnlichen Bild-, Licht- und Sprachelementen durchsetzte Welt auf der Bühne entstehen. Tanzszenen zur Musik von Rammstein und Apocalyptica wecken Assoziationen zum Dark Wave – die epileptisch anmutenden Bewegungen erinnern an Bühnenauftritte des Joy Division Sängers Ian Curtis.

Dazwischen immer wieder Humoriges. Der frivole Kater, Bühnenvagabund mit Freiheitsdrang und köstlich gespielt von Jörg Steinberg, treibt mit Entsetzen Scherz, führt die Banalität des Bösen ad absurdum.

Wenn sich das Volk missbrauchen lässt...

Der Luft-Kampf mit dem Drachen wird mit allen verfügbaren theatralischen Mitteln zum gigantischen Spektakel. Während ein monströser Kronleuchter bedrohlich schwankt und dicke Rauchschwaden das Schauspiel vernebeln, kreist Scheinwerferlicht durch den Zuschauerraum und zieht das Publikum mitten hinein ins Geschehen. Und immer wieder Stimmen im Saal, aus dort installierten Lautsprechern, die diesen Effekt noch verstärken. Unterdessen kommentiert der Assistent des Drachen, Bürgermeistersohn und Elsas Verlobter Heinrich (Georg Melich), das Gefecht in bester Propagandamanier: „Zwei Drittel Achtung vor dem Drachen haben wir bereits verloren...der Drache hat einen seiner drei Köpfe vom Kriegsdienst befreit.“

Nachdem der der Drache besiegt und der schwerverletzte Held Lanzelot spurlos verschwunden ist, reißt der einst wahnsinnige Bürgermeister - plötzlich mental gesundet - die Macht an sich und setzt die Blutherrschaft seines Vorgängers fort. Nicht genug , er lässt sich obendrein als Drachentöter feiern und beansprucht gar Elsa als Frau. Sein machtbesessener Sohn Heinrich steht ihm in nichts nach, wird sein Nachfolger und macht Karriere als Bürgermeister. Das Volk, die „durchlöcherten, käuflichen und verbrannten Seelen“, dienen als deren speichelleckende Steigbügelhalter.

Wenn männliche Gewalt zuschlägt...

Als sich die von Lanzelot geschwängerte, bereits in den Wehen liegende Elsa dem Ansinnen des Tyrannen widersetzt, wird sie von den Machthabern vergewaltigt. So abstoßend diese Szene auch sein mag, sie wird zur Metapher der hässlichsten Form männlicher Ausübung von Macht und Kontrolle. Fabian hat damit der Parabel die nötige Schärfe gelassen.
Zartes Weinen eines Babies verleiht der Hoffnung neue Kraft. Am Ende lebt die Liebe von Elsa und Lanzelot in ihrem Kind weiter und die Akteure bekräftigen in einem fulminant ertrommelten Finale lautstark den Übergang in eine neue, noch unbestimmte Ordnung.

Keine leichte Kost, jedoch eine abgründig komische Inszenierung, die dem Zuschauer viel Raum für Interpretation lässt, die polarisiert, und sicher nicht jedermanns Gefallen findet, wovon die vielen, unbesetzten Reihen im Zuschauerraum zeugten. Das wunderbar engagiert spielende Ensemble hat den begeisterten Applaus der Wenigen aber mehr als verdient.

Bleibt die Erkenntnis, dass es nicht alleine genügt, einen Diktator zu beseitigen, denn, so der Autor, „muss nicht in jedem von uns ein Drache getötet werden?“

Seemoz 18.03.2009

Ein surreales Gesamtkunstwerk

«Der Drache» von Jewgeni Schwarz in der Inszenierung von Jo Fabian wird auf der Konstanzer Bühne zum Urereignis. Der russische Autor hat das Stück 1943 gegen die Tyrannei der Diktatoren geschrieben.
Konstanz – «Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt»: ein Satz wie ein Nadelstich, wenn ihn ein Regisseur ausspricht. Die Präzisierung wirkt dann aber weniger vage als spannend: «Ich muss nicht 300 Leuten die gleiche Geschichte erzählen.» Jo Fabian, Jahrgang 1960 und mit eigener Theatergruppe in Berlin angesiedelt, hat die Reise nach Konstanz unternommen, um Grossstädtisches in die Provinz zu tragen, die dann so provinziell gar nicht daherkommt. Denn das Premierenpublikum zeigte sich restlos begeistert von einem Gesamtkunstwerk, das zu Recht als solches angekündigt worden war.
Seit 400 Jahren beherrscht ein Drache die Stadt, und deren Einwohner haben sich längst damit arrangiert, ihm jährlich eine Jungfrau zu opfern. Elsa soll es diesmal sein, und auch sie hat sich mit ihrer Bestimmung abgefunden. Bis Lanzelot auftaucht, ein Held mit Schwert, eine (schwarze!) Lichtgestalt, durch die alles anders werden könnte.
Lanzelot tritt zum Kampf an, doch alles bleibt, wie es ist, weil die Menschen sind, wie sie sind, und die Tyrannen überhaupt erst an die Macht bringen. Als Jewgeni Schwarz seine mit Märchenmotiven jonglierende Parabel 1943 schrieb, hatte er zwei Jahre Belagerung Leningrads durch die Deutschen hinter sich. Doch sein Stück gegen die Tyrannei der Diktatoren meinte eben auch Stalin. Die Uraufführung wurde 1944 verboten.
Übergeordnete Choreografie
Die Geschichte ist von daher eigentlich leicht zu verstehen – nur erzählen wollte Jo Fabian sie vielschichtiger, assoziativer. Surreal und durch Überblendungen an zeitgenössische Videoästhetik erinnernd, entwirft er eine Atmosphäre aus Licht, Sound, Text, Video, Bühne und Ausstattung – ein Design, in das sich die Figuren perfekt einfügen, sich ihm sogar regelrecht andienen durch eine Choreografie, die als Regelwerk allem übergeordnet ist (der Name Jo Fabian steht für nichts weniger als Bühnenfassung, Inszenierung, Ausstattung, Video- und Lichtdesign). Als Metrum dienen die Rhythmen eines Sounds, der alle Geräusch- und Musikbereiche streift und selbst fremdsprachige Stimmfetzen durch den Zuschauerraum wabern lässt (Sounddesign Lars Neugebauer).
Mit Marilyn Mansons Aura
Wer war nun zuerst da, der Drache oder Lanzelot, das Böse oder das Gute? Jo Fabian schickt einen Lanzelot (Nico Selbach) ins Feld, der die schrecklich-schöne Aura eines Marilyn Manson verbreitet. Weiss geschminkt das Gesicht, langes tiefschwarzes Haar, schwarzer Mantel – so tritt er ins Leben der Dorfbewohner und attackiert als Erstes mit einem Messer den Kater Maschenka, der als Erzähler und vielleicht einzig «menschlicher» Beobachter den Lauf der Dinge miterlebt (Jörg Steinberg gehört der Auftakt, den er in fliessendem Russisch absolviert). Grotesk ausgestattet auch die weiteren Figuren: Elsa (Monika Vivell) ist durch eine Trense des eigenen Ausdrucks beraubt, während ihr Vater, der Archivar, (Hans Helmut Straub) bei aller Unterwürfigkeit es doch noch wagt, auf ein altes Gesetz zu verweisen. Sadistische oder auch masochistische Einigkeit beim Bürgermeister und dessen Sohn (Heimo Scheurer und Georg Melich), dass Macht und Unterwürfigkeit ein aufreizendes Paar abgibt – sie können im Untergang und Aufstieg gleichermassen nur gewinnen.
Schliesslich Otto Edelmann als Drache ein monströses Wesen, dessen Stimme elektronisch verfremdet ist. Erschreckend und zugleich so irreal, dass man sich dieses Wesen auf der Bühne als nicht-existent wegdenken möchte. Damit schlägt Jo Fabian vielleicht ein zweites Mal den Bogen zurück zu den Menschen, den «normalen» Wesen: Denn in ihnen steckt schliesslich das Böse ebenso wie das Gute.
Lanzelot wird erst in seiner Liebe zu Elsa zu einer menschlichen Lichtgestalt, eine Wandlung, die allerdings niemandem nutzen wird. Übermenschlich seine Auferstehung, die wiederum konkrete Assoziationen zulässt, doch neben der geschundenen Elsa sinkt auch der Verklärte mit seinen Wunden zur Erde zurück. Dass alle Darsteller im letzten Bild der Inszenierung gemeinsam und kraftvoll auf Ölfässern trommeln, kann nur noch ein trotziges «Dennoch» sein, das man nicht mehr recht glauben mag.
Eine beeindruckend erzählte Geschichte, von der sich noch so viel mehr, auch anderes, erzählen liesse.
BRIGITTE ELSNER-HELLER

Thurgauer Zeitung 11.März 2009

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