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Theaterinszenierungen von Jo Fabian
Jo Fabian Department Theater Archiv
Die Weber. Gerhart Hauptmann
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Die Weber – Jo Fabian findet für Gerhart Hauptmanns Drama ein überwältigendes Bild

Lebende Weberschiffchen über schwindelndem Abgrund
VON MATTHIAS SCHMIDT

Halle, 16. September 2011. Das Fatale an Gerhart Hauptmanns "Webern" ist ja, dass wir ihre Armut nicht mehr nachvollziehen können. Unser Kapitalismus hat sich seitdem erheblich geputzt, seine Weber leben in der Dritten Welt. Wir sehen sie nur gelegentlich im Fernsehen. Ein naturalistischer (Rück-)Blick auf Figuren wie die schlesischen Weber würde folkloristisch anmuten. Oder unfreiwillig komisch, gerade wegen der im Dialekt geschriebenen Texte. Zudem war ihre Lage so eindeutig, vor dem Aufstand und auch, als sie niedergemetzelt beziehungsweise ins Zuchthaus gesteckt wurden, dass es kaum noch lohnt, darin herum zu psychologisieren.
Man kann das, wie Michael Thalheimer zuletzt am Deutschen Theater, handwerklich ganz schön machen, der Erkenntnisgewinn aber wird sehr groß nicht sein. Und übersetzt man das Stück vom 1844er Weber-Aufstand ins Heute, wie es etwa Volker Lösch vor einigen Jahren in Dresden mit Hartz IV-Empfängern getan hat, dann beklagen sich die Erben oder Sabine Christiansen oder Deutschebankchef Ackermann oder wen auch immer man auf der Fabrikantenseite unterbringt. Fiese Fabrikanten gibt es nicht mehr.
Jo Fabian schafft es, faszinierende und letztlich sogar ziemlich texttreue 90 Minuten aus den "Webern" zu machen. Ein furioser Auftakt der Intendanz von Matthias Brenner am "neuen theater" Halle.

Herr Dreissiger im Rammstein-Land
Fabians Theater mag auf den ersten Blick ein bisschen aus der Zeit gefallen wirken. Ein Anti-Robert-Wilson, deutlich düsterer, viel freier und weit weniger ziselierend, und doch mit ihm verwandt. Er schafft Gesamtkunstwerke, die, zerlegt man sie in Musik und Bühne und Licht und Schauspiel und Choreographie, plakativ zu sein scheinen. Man ist versucht, sich auf das Dechiffrieren zu konzentrieren und das Ganze als großes Ideen-Versteckspiel misszuverstehen.
Wenn anfangs die Weber als schwarz verhüllte Gestalten aus einer Luke aus der Unterbühne hervorkrabbeln, beginnt man das Bild zu übersetzen: klar, die sind ganz unten. Und ganz oben, auf einer erhöhten Ebene, steht ganz in Weiß gekleidet der Fabrikant Dreissiger und ergötzt sich daran, wie die Weber unten zu monotoner Industrial-Musik streng choreographiert durch von der Decke hängende Seile laufen. Lebende Weberschiffchen in einem riesigen Webstuhl – zweifellos die Idee des Abends. Zwischen Oben und Unten agiert Expedient Pfeifer, gekleidet in Schwarz-weiß, eine mittlere Führungskraft.

Danach wird Rammstein eingespielt: "Mehr", das Lied von der grassierenden Unbescheidenheit, und Herr Dreissiger und die Seinen spielen dazu frenetisch Luftgitarre.

All das – und tausend Dinge mehr – zusammen betrachtet, ergibt ein überwältigendes Bild. Nicht wenige Zuschauer saßen mit offenen Mündern in den putzigen Hallenser Klappsitzen und staunten es an. Dieses Bild, in dem ebenso vielschichtig gesprochen wird. Einerseits werkgetreu: die Unteren in einem kaum verständlichen Schlesisch, das mehr Stimmung als Text ist. Die Oberen in ihrem zynisch anmutenden Eigentümer-Hochdeutsch.

Dass wir fast 140 Jahre nach dem Aufstand leben, kommentiert Fabian durch kleine, oft witzige Text-Einschübe. Als Fabrikant Dreissiger den Arbeitern Karl Marx doziert, gibt ihm einer zurück, dass Marx sein Kapital erst "in 23 Jahren" schreiben wird. Und die Entscheidung, jetzt mit der Revolution zu beginnen, wird befördert durch den Satz: "Wir können nicht mehr warten bis zum Oktober – 1917!"

Die Meßlatte liegt
Am Ende fallen die Weber, als Opfer der industriellen Revolution. Im roten Theaterhimmel schnauft heftig eine Dampflok. Was folgt, ist die Stunde der Buchhalter. Expedient Pfeifer schleicht mit seinem Notizblock und erfasst die Kollateralschäden. Dann legt er sein Kostüm ab und verlässt mit Anzug und Schirm das Theater, während Suchscheinwerfer die Toten abschwenken und aus den Lautsprechern eine Frage ertönt: "What is going to happen to everybody in this room after their death?" Das meint? Revolution ist nicht, was in den Akten steht?
Jo Fabian sagt, dass er "Die Weber" durch plastisches Denken sinnlich entschlüsselbar machen möchte. In Halle geht das aufs Wunderbarste auf. Hier wird jeder etwas mitnehmen, und sei es nur ein opulentes Bühnenerlebnis.
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Wenn Fabians "Weber" jetzt als Meßlatte gelten, dann wird die neue Zeit am "neuen theater" eine gute Zeit.


stella hilb als luise
Fotos: Kerstin Rünzel

Hauptmanns «Weber» sind schmerzhaft schön
VON ANDREAS MONTAG

HALLE (SAALE)/MZ. Man muss kein Freund des experimentellen Regietheaters sein (für dessen Pflege Jo Fabian im Übrigen weniger bekannt ist als vielmehr für streng choreografierte Bilder), um diese Arbeit ins Herz zu schließen. Fabian hat mit dem Ensemble des halleschen Schauspiels eine wirkungsstarke, schlüssige Interpretation von Gerhart Hauptmanns naturalistischem Sozialdrama "Die Weber" erarbeitet, die schmerzhaft schön und bei allem übergreifenden Bezug auch werktreu ist.
Starken, sich nach anhaltender Betroffenheit allmählich steigernden Beifall aus dem voll besetzten Saal gab es am Freitagabend zur Premiere als verdienten Lohn dafür. Fabian fasst die Geschichte der hungernden Weber aus Schlesien, die schließlich keinen anderen Weg aus ihrer Not wissen, als einen Aufstand zu wagen, in großen Symbolen. Entsteigen die Arbeiter, gehüllt in dunkle Tücher, zu Beginn einer Art Höllenschlund, aus dem es feurig loht, so ist der Ausgang des Dramas schon mitgedacht. Klänge, die an ein Requiem, eine Totenfeier erinnern, begleiten den Auftritt, der sich zum mechanischen Tanz der Weber weitet. Ein fernes Klopfen erst, das sich zum donnernden Maschinenrhythmus steigert, überblendet die sphärische Musik, die Bewegung der Figuren wandelt sich auch, wird lebhafter und zeigt nun an: Hier sind Menschen von Fleisch und Blut unterwegs, die Träume und Sehnsüchte haben, die sich nach Teilhabe und Würde sehen. Dass Fabians Inszenierung nicht den ganzen Hauptmann nachvollzieht, ist nur zu verständlich. Das Stück, als Wegmarke sozialer Protestliteratur zum kulturellen Allgemeingut zählend, würde, vom Blatt gespielt, den heutigen Zuschauer wohl eher langweilen als ermuntern, den Blick auf das Eigentliche zu richten: Wie bemisst sich der Wert des Menschen - und wer bestimmt ihn, wenn der Mensch nicht selbst?
Im zweiten Teil des insgesamt nur 100 Minuten dauernden, dicht gebauten Abends kommen die Weber dann auch selber zu Wort: Sie bitten, flehen, betteln um ein paar Pfennige mehr Lohn, der Expedient Peifer (von Peter W. Bachmann als zynischer, dandyhafter Aufsteiger gespielt) weist sie brüsk ab - nicht ohne sie über Marxens Analyse des Kapitalismus zu belehren, die freilich noch gar nicht geschrieben sei. Es sind ironische Zeichen wie dieses, die dem Spiel den Horizont ins Heutige weiten, ohne dass dabei der Respekt vor dem Stück und seinen Figuren verloren ginge. Vielmehr greift Fabian hier im Stile Heiner Müllers ins Rad der Geschichte, um ihren Zusammenhang deutlich zu machen.
Der Fabrikant Dreißiger (David Kramer) gibt auf seinem Podest vor blut- und fahnenrotem Hintergrund indessen eine Komödie der besonderen Art. Er spielt sein Stück vom gütigen, selbst Not leidenden Unternehmer schamlos herunter, bis die Revolte ihm den Ernst der Lage eröffnet. Dann soll es der verfressene Pastor (Hilmar Eichhorn) richten. Vergebens.
Den Aufstand selber zeigt Fabian wieder in Bildern. Die Akteure gehen durch ein Becken voller Blut, sie schwenken ihre schwarzen Tücher wie Fahnen, bis einer nach dem anderen von ihnen fällt. Nun sind es Totentücher, die sie trugen. Das Publikum hält sekundenlang stille, ein solcher Abend war lange nicht zu sehen hier. Und ist, so scheint's, doch erwartet worden.

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